WOLLEN UNS DIE CHINESEN EINEN BÄREN AUFBINDEN?

WOLLEN UNS DIE CHINESEN EINEN BÄREN AUFBINDEN?

Essay zu meinem Besuch des Panda-Parkes in Chendo, der Hauptstadt von Sechuan, im Oktober 2014

Wer kennt sie nicht, die putzigen schwarz-weissen Panda-Bären als Signet für allen möglichen Naturbereiche! Im Unterschied zum Braunbär mit seinen Streif- und Raubzügen im Alpenraum und den Grizzlies in Nordamerika hat der Panda einen ausgezeichneten Ruf und macht Karriere beim WWF, als Namensgeber beim Fiat-Kleinwagen, war Maskottchen der olympischen Sommerspiele in Peking 2008: Ist das nur das Ergebnis geschickter Marktstrategien?

Unterwegs in die westlichen Gebiete der Provinz fuhren wir durch Wolong, einem Zentrum eines Ökotourismus in die steilen und weiten Schluchten der zugehörigen Naturreservate von 200 000 Hektaren mit über 100 Fünftausender, seit 1963 geschützt und Teil des UNESCO Naturerbes; leider ist die Station seit dem verheerenden Erdbeben von 2008 zur Zeit noch geschlossen; die Pandas der Beobachtungsstation wurden in ein anderes Zentrum verbracht: sie soll aber wieder geöffnet werden. Und in Chendo ist der Panda-Bären-Park Besuchermagnet und gleichsam Zentrum eines aktuellen „Bärenkultes“.

Verleiht der Umstand, dass das Habitat des Panda gefährdet und er vom Aussterben bedroht ist, dem Panda unsere ungebrochene Anteilnahme? Oder hat dieser aktuelle Bärenkult tiefere Ursachen und weiter reichende Wirkungen?

Diese Fragen stellten sich mir, als wir im Oktober 2014 den Panda-Park in Chendo besuchten: Parkplatz und Umgebung auf jährliche Besucherströme in Millionen ausgerichtet — der Panda als heimliches Wappentier des Reichs der Mitte? Souvenir-Läden im ganzen Land bezeugen seine ungebrochene und bestens vermarkteten Beliebtheit. 

Wenn man den Panda als Bären einordnet in die Geschichte des Zusammenlebens von Bär und Mensch, kommt man vielleicht auf die Spur dessen, was sich im Panda-Kult der Gegenwart sichtbar abspielt.

Seit der Steinzeit sind Bären in Jagdritualen verehrt worden. Ihre magische Bedeutung kommt in zahlreichen nordeuropäischen und nordasiatischen Mythen zum Ausdruck. In Finnland gab es die Vorstellung, dass der Bär nur deshalb angreift, weil in ihn die Seele eines bösen Menschen gefahren ist. In Sibirien wurde die Klugheit des Bären damit erklärt, dass ein Mensch sich in ihn verwandelt habe. … Trommelnde Schamanen bereiteten die Jagd auf ihn vor. Nur Männer durften sein Fleisch verzehren, wobei seine Knochen sorgfältig gesammelt und hoch an einem Baum oder auf einem Holzgestell im Wald abgelegt werden mussten. Es gab nordamerikanische Indianer, die einen Bärentanz aufführten. In der mittelalterlichen christlichen Kunst galten Bären als mit dem Teufel verbundene Bestien. Die in Europa seit dem Mittelalter durch schriftliche Quellen und Abbildungen belegte Zurschaustellung von dressierten Bären lebt aus der Vorstellung von der Gefährlichkeit des wilden Tieres, das durch etwas so Sanftes wie Musik bezwungen wird und eine Transformation von einem magisch-animalischen zu einem kulturellen Wesen mitmacht. (Wikpedia)

Auch in vielen Namen spiegelt sich das hohe Ansehen des Bären wieder, wie z.B. in Ursula, Björn und Bernhard. In Nordamerika gilt Großvater Bär als Beschützer, als Kräuterkundiger, als mächtiger Krieger und Heiler, der hoch in Ehren stand. Eine Weisheit aus dem Yukon besagt, der Mensch solle sein Sozialverhalten vom Wolf und sein Ernährungsverhalten vom Bären lernen, da dieser nicht nur Fleisch, sondern auch Beeren und Kräuter frisst. Weil der Bär durch seine ausgewogene Ernährung ein großes Heilpflanzenwissen besitzt, heißt es, dass man vom Bären zum Kräuterkundigen berufen wird, wenn er einem erscheint.

In vielen indianischen Kulturen gilt der Bär als Beschützer, König der Tiere und wird als weiser Lehrer und Schutzpatron verehrt. Wenn der Bär in Ihr Leben schreitet, fordert er sie dazu auf, aus dem Winterschlaf zu erwachen und mit neuer Kraft dem Leben entegegen zu treten. Er gibt Ihnen Ruhe, um in brenzligen Situationen einen kühlen Kopf zu bewahren, aber auch und Mut, Neues zu schaffen und sich mit aller Kraft zu verteidigen, wenn es darauf ankommt.

Bei den Griechen ist die Artemis, die Herrin der Tiere und Jagdgöttin auch mit dem Bären verbunden; in ihren lokalen Varianten die Bewohner mit ihrer wilden Natur und Landschaft.

 Schon im Frühmittelalter hatte der Heilige Gallus im wilden Steinachtal am hilfreichen Bären seine überlegene geistig-christliche Überlegenheit demonstriert: Er trollte sich bekanntlich nach erfüllter Dienstleistung davon  –  um im Wappen der Stadt wie der beiden Appenzell wieder aufzutauchen, ganz ähnlich wie die Berner Bären, die sogar im Bärengraben als Gefangene bis vor wenigen Jahren ihre gezähmte Wildheit einem belustigten und ahnungslosen Publikum vorführten.

Der Bär als Wappen- und Totemtier fasziniert, schreckt ab und verleiht Kraft: Es gibt Menschen mit Bärenkräften, und im Schamanismus führt er tief hinein in animalische Natur- oder Seelenbereiche. Weit zahmer, aber nicht minder wirkungsvoll lebt der Bär oder das Bärlein als als stärkendes, Schutz verleihendes und tröstendes Wesen in den Kinderzimmern und Kinderbüchern und geniesst seit etwa 1900 als Teddy-Bär eine ungebrochene Popularität auch unter den Erwachsenen.

Welches Licht fällt von hier aus auf den von China ausgehenden globalisierten Panda-Bären-Kult? Der Panda-Bär ist aus der Kinderstube, wo er als Teddy und Padington lebt, in die Natur ausgewandert. Aber er hat alle Wildheit verloren: hockend auf den Hinterbeinen verzehrt er mit seinen Vorderpranken genüsslich seine geliebten Bambus-Stauden: das macht ihn ausgesprochen sympathisch! Und seine auffällige Färbung? Die Biologen rätseln über deren Herkunft und Funktion; sein Weiss-Schwarz als die konträrsten Farben lassen mich an das bekannte und ebenfalls globalisierte Symbol Yin Yang aus dem chinesischen Taoismus denken: Vereinigung der Gegensätze.

Um den Panda-Kult zu verstehen genügt die Fahrt durch die Täler und Berge des westlichen Sechuan nicht: Auch die „Hochhaus-Wälder“ der chinesischen und globalen Grossstädte gehören zu seinem „Aufstieg“:  Millionen von Menschen „vegetieren“ in Umgebungen der technischen Zivilisation, zwischen denen die Natur ininselartigen Parkanlagen verkümmert, und alles nur zu oft unter einer gräulichen Smog-Decke.

Woher beziehen Menschen in einer solchen Umgebung ihre geistige Orientierung? Was lebt in ihnen als Erinnerung an seelische Paradiese? Welche Wegweiser haben sie zu Werten, von denen das Überleben von Zivilisation, Kultur und Natur abhängt? Kann dies geschehen im reizüberfluteten Medien-Klima voller Konsumverlockungen und in einer völlig säkularisierten Kapitalismus-Unkultur?

Ist hier vielleicht der zunächst ebenfalls medial vermittelte Panda-Kult für Klein und Gross ein solches inneres Seelen- oder „Wahrbild“? Es ist  zu hoffen, dass der Panda, dessen Schutz die chinesische Regierung äusserst aktiv betreibt, die Menschen  als Symbol innerlich stärkt, wenn es darum geht, die Schäden und Verkümmerungen ihrer zivilisatorischen Grossstadt-Habitate wahrzunehmen und zu korrigieren.

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